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Nordwest Zeitung

Leserbrief vom 10. Dezember 2002

Psychiatrie bleibt Therapiekonzepte schuldig

Jemand, der so vollmundig psychiatrische Welt-Prognosen formuliert, wie dies der Psychiater Dr. Klaus Stutte tut, muss sich fragen lassen, wie es um die Kompetenz der Psychiatrie bestellt ist. Wie steht es mit der Fähigkeit der Psychiatrie, menschliche Verhaltensweisen vorauszusagen, welche Methoden und Programme werden mit welcher Effektivität angewandt?
In die Schlagzeilen geraten Psychiater immer wieder aufgrund skandalöser Fehlurteile im Bereich der Anstalts- und Gerichtspsychiatrie. Der Fall der beiden Psychiater der Landesklinik in Brandenburg, die einen Sexualtäter Freigang gewährten, worauf dieser zwei Morde sowie knapp 70 weitere Straftaten beging, ist zwar ein extremes Beispiel, jedoch eines von vielen. Die Rückfallquote bei Personen, die sich sexuell an Kindern vergangen haben, liegt zwischen 70 und 80 Prozent, was als Beleg dafür anzusehen ist, dass es der Psychiatrie offensichtlich nicht gelungen ist, ein wirklich funktionsfähiges Therapiekonzept zu entwickeln.
Ähnliches gilt für die Handhabung des Drogenproblems. Das von der Psychiatrie propagierte Programm, eine Droge durch eine Ersatzdroge – meist ist es Methadon – zu ersetzen, kann nicht als Lösung für das Drogenproblem , sondern eher als Bankrotterklärung aufgefasst werden. Das inzwischen in Hannover angelaufene Heroin-Programm, das darin besteht, Heroinabhängige auf Staatskosten mit Heroin zu versorgen, kann als vollständige Kapitulation der Psychiatrie vor dem Drogenproblem gewertet werden.
Seitdem die Amerikanische Psychiatrische Vereinigung 1987 die psychiatrische „Krankheit“ Hyperaktivitätsstörung lancierte, hat der Verbrauch von Psychopharmaka für Kinder astronomische Ausmaße angenommen. Die hier verschriebenen bewusstseinsverändernden Drogen lösen die Erziehungsprobleme nicht, sondern schaffen nur neue.
Noch bis heute ist der Elektroschock in der Psychiatrie eine erlaubte und angewandte Methode, auch in Deutschland. Die Liste äußerst problematischer psychiatrischer Programme ließe sich beliebig fortsetzen. Betrachtet man diese und setzt sie mit der Prognose des Psychiaters Dr. Stutte in Verbindung, dann kann man in dieser Prognose eher den Wunsch vieler Psychiater nach Beschäftigung und einem guten Einkommen erblicken. Bevor solchen Prognosen geglaubt wird, sollte die Psychiatrie nachweisen, dass sie in der Lage ist, Therapiekonzepte zu entwickeln, die Probleme wirklich lösen.

Rainer Pagel
Barßel

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