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Emsland-Kurier

Leserbrief vom 9. Januar 2005

Keine Zuckererbsen

Zu unserem Artikel "Großer Bedarf an Kinderpsychiatrie" vom 12.12. erreichte und folgende Leserzuschrift:

Die Frage lautet, ob Mehrausgaben für die Psychiatrie und der Jugendpsychiatrie zu einer Verbesserung der Lebensqualität für die Allgemeinheit führen. Allein aus den Mehrausgaben zu schließen, dass sich die Lebensqualität erhöht, muss als zu kurzfristig gedacht angesehen werden. Denn es muss gefragt werden, wie viele Menschen wirklich geheilt wurden und zu ihrem normalen Lebensweg zurückgefunden haben, ohne weiterhin auf psychiatrische Hilfe angewiesen zu sein.

Aus diesem Grunde lohnt sich ein Blick auf das Konzept, das die Grundlage für psychiatrische Hilfe bildet. Es besteht im Wesentlichen darin, dass eine psychiatrische Störung per Abstimmung der amerikanischen Psychiater festgelegt wird, die im Diagnosehandbuch verankert wird. Zum Beispiel wurde dort nach äußerst schwammigen Kriterien 1987 festgelegt, dass besonders oder ungewohnt aktive Kinder als krank zu bezeichnen sind. Sie wurden mit dem Etikett ADS bzw. ADHS (Aufmerksamkeits-Defizit/Hyperaktivitätsstörung) versehen, was wiederum die Grundlage dafür lieferte, ihnen Psychopharmaka zu geben, die in Deutschland unter das Betäubungsmittelgesetz fallen. Auf der Grundlage dieser Diagnose bekommen in den USA inzwischen mehr als 6 Millionen Schulkinder Psychopharmaka, in Deutschland stieg der Verbrauch von 34 Kilogramm im Jahr 1993 auf 722 Kilogramm im Jahr 2002. Und hier handelt es sich nicht um Zuckererbsen zur Versüßung des Lebens, sondern um Psychopharmaka, die ein deutscher Apotheker aus seinem verschlossenen Safe holen muss und die bei der Bundesopiumstelle des Bundesinstituts für Azneimittel und Medizinprodukte registriert werden müssen.

Ginge es nach den Vorstellungen der Kinder- und Jugendpsychiater, würden die deutschen Schüler noch mehr Psychopharmaka bekommen. In den USA beanspruchen die Psychiater, dass etwa 20 Prozent der Gesellschaft behandlungsbedürftig seien. Es ist zu fragen, ob wir wirklich diese Psychiatrisierung der Gesellschaft wollen? Wollen wir die enormen Kosten tragen, die damit verbunden sind? Oder wollen wir uns auf die Werte zurückbesinnen, die den Grundstein für jede funktionierende Gesellschaft bilden, wozu Verantwortung, Vertrauen und Nächstenliebe zählen?

Rainer Pagel, Barßel

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