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Droht eine Psychiatrisierung der Pädagogik?

Ein Beitrag zur Diskussion um die ADHS-Diagnose und die Verabreichung von Ritalin®
abgedruckt in: PÄDAGOGIK, Heft 2/Februar 2003, S. 38-41

Seitdem die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Marion Caspers-Merk, in ihrer Pressemitteilung vom 15. August 2001 ausdrücklich auf den schädlichen Missbrauch von Ritalin® hingewiesen hat, hat dies in der Bundesrepublik zu einer ganz neuen Diskussion darüber geführt, ob es überhaupt vertretbar ist, dieses Psychopharmakon in diesen Mengen zu verschreiben. In ihrer Pressemitteilung nennt Caspers-Merk die folgenden Zahlen: „Seit 1994 hat sich der Verbrauch mehr als verzehnfacht. Allein im Jahr 2000 hat er sich gegenüber dem Vorjahr verdoppelt.“1 Bereits ein Jahr vorher wurden im arznei-telegramm die folgenden Zahlen veröffentlicht: „1995: 0,7 Millionen Tabletten, 1999: 31 Millionen Tabletten)“2 Das wäre sogar eine Steigerung um mehr als das Vierzigfache innerhalb von 5 Jahren.

Ritalin® ist lediglich ein Markenname. Der in den Tabletten enthaltene Wirkstoff heißt Methylphenidat. Ein weiterer Markenname für diesen Wirkstoff ist Medikinet®. Mit diesem Wirkstoff werden zunehmend Kinder behandelt, die mit der Diagnose ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung) versehen wurden. Etwas gebräuchlicher ist hierfür der Name Zappel-Philipp. Diese Figur wurde von dem Psychiater Dr. Heinrich Hoffmann geschaffen und im „Struwwelpeter“ veröffentlicht.3

Heinrich Hoffmann (1809-1894) errichtete nach seinem Studium im Jahre 1835 in Frankfurt eine Praxis, 1848 saß er als bürgerlicher Liberaler im Frankfurter Vorparlament und von 1851 bis 1888 war er leitender Arzt in der „Anstalt für Irre und Epileptische“. 1847 verfasste er den „Struwwelpeter“ oder „lustige Geschichten und drollige Bilder für Kinder von 3 bis 6 Jahren“, wie es im Untertitel heißt. Der Zappel-Philipp gehört zu den zentralen Figuren dieses Kinderbuches. Er ist unakzeptabel lebhaft und der Vater versucht ihn in die Schranken zu weisen. Dies misslingt jedoch, Philipp zappelt weiter, fällt vom Stuhl, greift nach dem Tischtuch und reißt so Teller, Flasche und Brot mit herunter. Vater und Mutter sind zornig, weil sie nun nichts mehr zu essen haben. Das, was hier beschrieben wird, ist die eine Seite der ADHS, nämlich die Hyperaktivitätsstörung.

Die andere Seite, die Aufmerksamkeitsstörung, kommt auch bereits im „Struwwelpeter“ vor, und zwar in der Figur des Hanns Guck-in-die-Luft.4 Hanns interessiert sich für die Wolken und Schwalben und beachtet deshalb einen herannahenden Hund nicht. Er stößt mit ihm zusammen und fällt hin. Als er seinen Weg fortsetzt und weiterhin die Schwalben neugierig am Himmel beobachtet, beachtet er den Fluss nicht, fällt hinein, wird jedoch von zwei Männern mit Stangen gerettet. Hanns steht nun am Ufer, ist „triefend naß“, „es friert ihn“ und er wird von den Fischen ausgelacht.

Der „Struwwelpeter“ kann als komplettes Erziehungskonzept zur Anpassung an gesellschaftliche Normen verstanden werden. Wie die damit verbundenen Erziehungsmethoden aussehen, wird besonders bei der Figur des Daumenlutschers Konrad5 deutlich. Konrad wird von der Mutter, bevor sie weggeht, ermahnt, nicht am Daumen zu lutschen. Er macht es dennoch, prompt erscheint der Schneider, schneidet beide Daumen ab und Konrad ist traurig, da er ja nun keine Daumen mehr hat.

In keiner der oben genannten Geschichten wird an die Vernunft des Kindes appelliert, die Situation wird nicht besprochen oder verständlich gemacht. Neugieriges Verhalten wird konsequent abgewertet und eine Anpassung an die Normen der Autoritäten erwartet. Passt das Kind sich nicht an, wird es durch die Konsequenzen des eigenen Handelns überwältigt (Zappel-Philipp und Hanns Guck-in-die-Luft) oder sogar durch äußere Gewalt überwältigt, wie durch die Figur des Schneiders beim Daumenlutscher Konrad. – Solche Geschichten erzeugen Angst. ‚Richtiges Verhalten‘ wird durch Überwältigung und Gewalt erzwungen. Einsicht und Vernunft sind nicht gefragt. – Es wird zu untersuchen sein, ob die Verabreichung von Psychopharmaka nicht nur eine modernere und subtilere Form der Überwältigung von Kindern ist.

Obwohl der Psychiater Heinrich Hoffmann das ADHS-Syndrom durch seinen „Struwwelpeter“ im Grunde genommen schon beschrieb, so schuf er damit jedoch noch keine behandlungsfähige Krankheit. Dies besorgten seine US-amerikanischen Kollegen. Aus dem Zappel-Philipp und dem Hanns Guck-in-die-Luft des Jahres 1847 wurde im Jahre 1987 eine Krankheit mit dem Namen ADHD (Attention-Deficit/Hyperactivity Disorder), beschlossen von der APA, der Amerikanischen Psychiatrischen Vereinigung (American Psychiatric Association). Diese Krankheit wurde im DSM-III-R verankert, das ist das Diagnostische und Statistische Manual Psychischer Störungen. Hier werden die Kriterien genannt, nach denen ADHD diagnostiziert wird.

Das DSM erschien erstmals im Jahre 1952 und es wurden darin 112 Geistesstörungen beschrieben, im DSM-II (1968) waren es bereits 163, im DSM-III (1980) waren es 224, im DSM-III-R (1987) 253 Geistesstörungen in der letzten Ausgabe, dem DSM-IV von 1994, waren es 374 Geistesstörungen. Die Anzahl der psychiatrischen Störungen nahm also seit Bestehen des DSM beständig zu. Dabei ist zu fragen, ob es sich bei den im DSM genannten Krankheiten um Krankheiten im herkömmlichen Sinne handelt.

In Deutschland ist das Wort „Krankheit“ ein unbestimmter Rechtsbegriff, der gesetzlich nicht definiert ist. Eine Definition ergibt sich vielmehr allein aus der Rechtsprechung selbst. Hier wird unter Krankheit „ein regelwidriger Körper- oder Geisteszustand, der Behandlungsbedürftigkeit und/oder Arbeitsunfähigkeit zur Folge hat“6 verstanden. „Die Regelwidrigkeit eines Körper- oder Geisteszustandes ist bereits mit der Abweichung von der durch das Leitbild des gesunden Menschen geprägten Norm gegeben.“7 Es wird zu untersuchen sein, ob die von der Amerikanischen Psychiatrischen Vereinigung aufgestellten diagnostischen Kriterien überhaupt in der Lage sein können, die geforderte „Regelwidrigkeit eines ... Geisteszustandes“ hinreichend zu beschreiben.

An dieser Stelle kann jedoch schon angemerkt werden, dass eine im DSM beschriebene Krankheit nicht mit einer Krankheit im herkömmlichen Sinne vergleichbar ist. Diabetes zum Beispiel lässt sich eindeutig beschreiben und damit auch diagnostizieren. Demgegenüber handelt es sich bei den im DSM-IV genannten diagnostischen Kriterien für ADHD lediglich um eine Liste nicht gewünschter Eigenschaften bei Kindern. Autoren wie Dr. Thomas Szasz lehnen es sogar ab, den Krankheitsbegriff auf die im DSM-IV genannten psychischen Störungen auszudehnen.

ADHD – im deutschen Sprachraum spricht man von Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (AHHS) - wird im DSM-IV auf drei Seiten beschrieben.8 Zunächst werden die Symptome genannt, die sich auf Unaufmerksamkeit (Hanns Guck-in-die-Luft) beziehen. Dann folgen die Symptome der Hyperaktivität und Impulsivität (Zappel-Philipp). Da sich diese Arbeit im Wesentlichen auf diese zweite Kategorie bezieht, sollen die dafür aufgestellten Symptome hier vollständig zitiert werden. Sie sind von großer Bedeutung, um zu verstehen, wie diese psychiatrische Störung lanciert wurde.

Die Hyperaktivitätsstörung ergibt sich aus einer Liste von insgesamt 9 Symptomen:

„Hyperaktivität:
a) zappelt häufig mit Händen oder Füßen oder rutscht auf dem Stuhl herum,
b) steht in der Klasse oder in anderen Situationen, in denen Sitzenbleiben erwartet wird, häufig auf,
c) läuft häufig herum oder klettert exzessiv in Situationen, in denen dies unpassend ist (bei Jugendlichen oder Erwachsenen kann dies auf ein subjektives Unruhegefühl beschränkt bleiben),
d) hat häufig Schwierigkeiten, ruhig zu spielen oder sich mit Freizeitaktivitäten ruhig zu beschäftigen,
e) ist häufig „auf Achse“ oder handelt oftmals, als wäre er/sie „getrieben“,
f) redet häufig übermäßig viel;

Impulsivität:
g) platzt häufig mit den Antworten heraus, bevor die Frage zu Ende gestellt ist,
h) kann nur schwer warten, bis er/sie an der Reihe ist,
i) unterbricht und stört andere häufig (platzt z.B. in Gespräche oder in Spiele anderer hinein).9

Tauchen sechs oder mehr dieser insgesamt neun Symptome in einem Zeitraum von 6 Monaten beständig auf, dann gilt dies als Krankheit mit dem Namen ADHD. Diese Symptome müssen „... in einem mit dem Entwicklungsstand des Kindes nicht zu vereinbarenden und unangemessenen Ausmaß vorhanden gewesen“10 sein.

Das ist alles. Das ist die diagnostische Grundlage für ADHS. Ohne diese Kriterien gäbe es keine Verschreibung von Ritalin® und anderer Psychopharmaka für so genannte hyperaktive Kinder. Es lohnt sich also, diese Kriterien etwas näher zu betrachten.

Zunächst fällt auf, dass diese Kriterien höchst subjektiv interpretierbar sind. Wie will man den genauen Zeitpunkt festlegen, wann ein Kind „häufig mit Händen oder Füßen zappelt“? Eltern und Lehrer werden im Laufe des diagnostischen Verfahrens aufgefordert, ihre diesbezüglichen Beobachtungen in Fragebogen einzutragen. Ein Verhalten, das für eine Mutter noch vollkommen akzeptabel ist, kann für eine andere Mutter oder für einen Lehrer schon Anlass zum Tadel geben und einen entsprechenden Eintrag im Fragebogen zur ADHS-Diagnose zur Folge haben. Die Toleranz des Beobachters spielt also bei der Diagnose eine große Rolle. Das Vorhaben, aus diesen subjektiven Beobachtungen eine objektive Krankheit ableiten zu wollen, muss deshalb als äußerst bedenklich angesehen werden.

Die Fähigkeit zur Kommunikation gehört zu den Schlüsselvoraussetzungen zur Teilnahme am sozialen und kulturellen Geschehen. Kontaktfreudige und kommunikationsbereite Menschen haben es in der Regel leichter, im Leben zurechtzukommen. Wie will man hier bestimmen, wann ein Kind „häufig übermäßig viel redet“? Was für einen Beobachter bereits als „krankhaft“ erscheint, mag für einen anderen als besonders überlebensfähig und als Ausdruck spontaner Lebensfreude gelten. So ist es auch nicht verwunderlich, dass Gerald Hüther und Helmut Bonney in ihrem Buch „Neues vom Zappelphilipp“ zu folgendem Schluss kommen: „Zusammenfassend ist festzustellen, daß bis heute keine treffsichere Diagnostik für dieses Störungsbild erarbeitet werden konnte,...“11

Der Krankheitsbegriff erfordert zudem, dass zumindest eine „Abweichung von der durch das Leitbild des gesunden Menschen geprägten Norm gegeben“ ist. Wie soeben erläutert wurde, ist es höchst schwierig und in großem Maße von subjektiven Faktoren abhängig, eine solche Abweichung zu diagnostizieren. Die von der Amerikanischen Psychiatrischen Vereinigung entwickelten Kriterien erscheinen somit als wenig geeignet, ADHS eindeutig zu bestimmen. Sie könnten vielmehr dazu dienen, Teile der Bevölkerung als „krank“ zu stigmatisieren und damit potentiell einer psychiatrischen Behandlung auszusetzen.

Im Grunde genommen handelt es sich bei den so genannten diagnostischen Kriterien lediglich um eine Auflistung von unerwünschten Verhaltensweisen, die nichts über die Ursachen von ADHS aussagen. Wie willkürlich diese Kriterien festgelegt wurden, ergibt sich auch aus der Tatsache, dass im DSM-III-R noch 14 Kriterien genannt wurden, wobei hier mindestens 8 dieser Symptome ausreichten, um ADHS zu diagnostizieren, wenn sie über einen Zeitraum von mehr als 6 Monaten auftauchten. Sicher ist die Bremer Kinderärztin Dr. Renate Lüdemann ein extremes Beispiel, als sie in der Report-Sendung vom 3.9.2001 behauptete, sie könne ADHS innerhalb von drei Minuten diagnostizieren. Dieses Beispiel zeigt aber deutlich, wie subjektiv ADHS-Diagnosen sein können. Dies ist um so schwerwiegender, da auf der Grundlage dieser zweifelhaften Diagnose Psychopharmaka mit dem Wirkstoff Methylphenidat verschrieben werden, die eine so massive Einwirkung auf den Menschen haben, dass sie unter das Betäubungsmittelgesetz fallen.

Der Wirkstoff Methylphenidat wird in Deutschland unter den Markennamen Ritalin® und Medikinet® verkauft. Ursprünglich hat Ritalin® überhaupt nichts mit ADHS zu tun, da es bereits in den fünfziger Jahren entwickelt und u.a. als Appetitzügler eingesetzt wurde. – Ritalin® ist chemisch nicht identisch mit Kokain, es produziert jedoch pharmakologische Effekte, die denen von Kokain ähnlich sind. Auf der Homepage des U.S. Department of Justice – Drug Enforcement Administration heißt es hierzu: „Methyphenidate, which is manufactered under the brand name Ritalin®, is a Schedule II stimulant that produces pharmacological effects similar to those of cocaine and amphetamine ...“

Obwohl bekannt ist, dass Ritalin® ähnlich wie das Rauschgift Kokain wirkt, so können doch keine verlässlichen und eindeutigen Aussagen darüber gemacht werden, was genau Ritalin® im sich entwickelnden Gehirn eines Kindes bewirkt.12 Hierauf hat erst jüngst das Sozialministerium des Landes Baden-Württemberg in einer Stellungnahme hingewiesen.13 Entsprechendes vermerkt auch der Hersteller auf dem Beipackzettel: „Es gibt keinen spezifischen Beweis , der die Mechanismen nachweist, wie Ritalin® mentale und verhaltensmäßige Effekte auf Kinder hervorruft, noch gibt es einen überzeugenden Nachweis darüber, wie diese Effekte in Beziehung zum zentralen Nervensystem stehen.“14 Im Grunde genommen ist es völlig unverständlich, dass ein Medikament wie Ritalin®, dessen Wirkungsweise so wenig geklärt ist, auf Grund einer vagen psychiatrischen Diagnose in einem solchen Ausmaß verschrieben wird, wie dies im Moment in der Bundesrepublik geschieht.

Darüber hinaus gilt es zu bedenken, welche Botschaft durch die Verabreichung von Ritalin® vermittelt wird. Die Botschaft lautet doch: Hast du ein seelisches Problem, dann schlucke eine Pille. Dieser „Griff zur Pille“ kann zu einem Verhaltensmuster werden, das bei anderen oder ähnlichen Problemen erneut zum Tragen kommen kann. Gerade in einer Zeit des sich ausbreitenden Medikamentenmissbrauchs ist diese Gefahr nicht von der Hand zu weisen.

Die hier geäußerten Bedenken verstärken sich noch, wenn man sich vor Augen hält, dass auch die Langzeitfolgen einer Behandlung mit Methylphenidat unbekannt sind. „Bei jungen Ratten scheint das Amphetamin die Ausreifung des dopaminergen Innervationssystems irreversibel zu behindern. Für Menschen könnte der Befund bedeuten, dass die jahrelange Einnahme in einer Zeit, in der sich das Gehirn entwickelt, eine PARKINSON-artige Erkrankung im höheren Lebensalter begünstigt“, heißt es im arznei-telegramm.15 Der Göttinger Neurologe Gerald Hüther hat auf die möglichen Langzeitschäden durch das Medikament Ritalin® hingewiesen. Auf der Grundlage seiner Experimente mit Ritalin® kommt er zu folgendem Schluss: „Ich muss daher befürchten, dass wir demnächst immer jüngere Parkinson-Kranke bekommen.“16

Fazit: Gewiss, die Situation hat sich in den Schulen verändert. Dies wissen die am besten, die bereits seit mehreren Jahrzehnten im Schuldienst sind und entsprechende Vergleiche ziehen können. Was jedoch von Seiten der Psychiatrie angeboten wird, um die offenkundigen Probleme zu lösen, ist mehr als fragwürdig. Die von der Amerikanischen Psychiatrischen Vereinigung im Jahre 1987 aufgestellten Kriterien halten einen objektiven Überprüfung nicht stand. Die damit verbundene ADHS-Diagnose ist fragwürdig und führt zur Verabreichung einer psychiatrischen Droge – meist Ritalin® -, die ähnliche Effekte wie Kokain produziert, deren Wirkungsweise letztlich unbekannt ist und deren Langzeitwirkungen unerforscht sind, obwohl Ritalin® bereits seit den 50er Jahren auf dem Markt ist. Dr. Heinrich Kremer, langjähriger ärztlicher Direktor der Drogenfachklinik der Länder Berlin, Bremen, Hamburg, Niedersachsen und Schleswig-Holstein schreibt hierzu treffend: „In der therapeutischen Praxis erweist sich jedoch ...die Ritalin-Dauertherapie als schwerwiegender Eingriff in die Persönlichkeitsentwicklung und körperliche Reifung im Kindes- und Jugendalter mit sehr riskanten Langzeitfolgen.“17

Erwachsene können sich gegen eine Behandlung mit Psychopharmaka erfolgreich zur Wehr setzen. Für Kinder, die mit einem Psychopharmakon behandelt werden, ist dies schon wesentlich schwieriger. Diese Überwältigung, die das Ziel verfolgt, Kinder an eine als ideal angesehene Norm anzupassen, unterscheidet sich natürlich von physischer Gewalt. Jedoch muss angemerkt werden, dass es sich hier um einen schwerwiegenden Eingriff in das Seelenleben eines Kindes handelt. Viel wichtiger und vernünftiger wäre es dagegen, die wirkliche Ursache der so genannten Hyperaktivität aufzugreifen und zu behandeln.

Die obigen Ausführungen haben gezeigt, dass das Problem der so genannten hyperaktiven Kinder nicht an die Psychiatrie abgegeben werden darf, da sie wenig oder nichts zu bieten hat, um dieses Probleme zu lösen. Lehrer und Erzieher sollten sich auf ihr eigenes Fachgebiet zurück besinnen und pädagogische Lösungen anstreben. Konsequentes pädagogisches Handeln ist erforderlich. Diese pädagogischen Maßnahmen, zu der auch eine effektive Unterrichtsmethode gehört, können durch eine gesunde Ernährung oder durch andere natürliche Alternativen ergänzt werden. Zu beachten ist natürlich auch ein vernünftiger Umgang mit den Medien, um der Reizüberflutung zu begegnen. Die Bücher von Friedrich Klammrodt „Unkonzentriert – Aggressiv – Überaktiv“18 und Barbara Simonsohn „Hyperaktivität – Warum Ritalin keine Lösung ist“19 sind beide für die Praxis geschrieben und bieten dem interessierten Leser viele praktische und wirkungsvolle Hinweise.


1 Caspers-Merk. Pressemitteilung Nr. 12 vom 15. August 2001.

2 arznei-telegramm 8/2000. 31. Jg. . 4. August 2000.

3 Vgl. Hoffmann, Heinrich: Der Struwwelpeter. Bindlach 2001. S. 17-19.

4 Vgl. ebd. S. 21-23.

5 Vgl. ebd. S. 15f.

6 Schreiben der Kassenärztlichen Vereinigung Niedersachsen – Bezirksstelle Oldenburg vom 15. April 2002 an den Verfasser.

7 Ebd.

8 Vgl. Saß, Henning u.a.: Diagnostische Kriterien des Diagnostischen und Statistischen Manuals Psychischer Störungen DSM-IV. Göttingen 1998. S. 62-64.

9 Ebd. S. 63.

10 Ebd. S. 63.

11 Hüther, Gerald und Helmut Bonney: Neues vom Zappelphilipp. Düsseldorf 2002. S. 105.

12 Vgl. DER SPIEGEL. Nr. 29/15.7.2002, „Das Zappelphilipp-Syndrom“. S. 127.

13 Vgl. Stellungnahme des Sozialministeriums des Landes Baden-Württemberg vom 11.1.2002 (Drucksache 13/619).

14 Zitiert nach: Hüther, Gerald und Helmut Bonney: Neues vom Zappelphilipp. Düsseldorf 2002. S. 73f

15 Vgl. arznei-telegramm 2002. 33. Jg. . Nr. 1. S. 16.

16
DER SPIEGEL. Nr. 11/2002. S. 222.

17 Kremer, Heinrich: Ritalin – Tatort Gehirn. In: raum&zeit. Nr. 115/2002. S. 16.

18 Vgl. Klammrodt, Friedrich: Unkonzentriert – Aggressiv – Überaktiv. Leer 1999.

19 Vgl. Simonsohn, Barbara: Hyperaktivität – Warum Ritalin keine Lösung ist. München 2001.

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